Behandlung der Gesichtslähmung (Fazialisparese) (2024)

Die Anatomie (altgriechisch: ἀνά aná "auf" und τομή tomé "Schnitt") ist die Lehredes "Aufbaus" eines Organismus. In der Medizin unterteilt man in makroskopische - (grober Aufbau von Organen und Geweben) und mikroskopische Anatomie (Strukturen, die mit Hilfe von Mikroskopen beurteilt werden).

Was ist ein Nerv?

Nerven sind parallel verlaufende Nervenfasern, die von Bindegewebe umhüllt werden und elektrochemische Impulse an periphere Organe, Muskeln und das zentrale Nervensystem leiten können. Eine Nervenzelle besteht grundsätzlich aus dem Soma (Zellkörper, Zellkern mit Dendriten), dem Axon und den Synapsen (Axonterminale). Eine einzelne Nervenfaser wird durch das "Endoneurium" umfasst. Mehrere Nervenfasern sind vom "Perineurium" umgrenzt und bilden zusammen ein Nervenfaszikel. Nervenfaszikel werden wiederum vom "Epineurium" zur anatomischen Struktur eines peripheren Nervs zusammengefasst.

Um eine Information von einer Zelle zur nächsten zu leiten, muss der sog. "synaptische Spalt" überbrückt werden. Dieser stellt einen ca. 20 bis 30 nm breiten Zwischenraum zwischen zwei Zellen dar.[1] Der synaptische Spalt bildet gemeinsam mit dem Axon-Endknöpfchen der Senderzelle und dem Dendriten der Empfängerzelle die Synapse.

Im Axon-Endknöpfchen befinden sich kleine Bläschen (Vesikel), die im Falle von chemischen Synapsen Botenstoffe, wie z. B. die Neurotransmitter Adrenalin und Dopamin enthalten. Gelangt ein elektrischer Impuls zum Endknöpfchen, so verschmelzen die Vesikel mit der präsynaptischen, d. h. vor dem synaptischen Spalt liegenden, Zellmembran und die Botenstoffe werden in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Der elektrische Impuls wird dadurch zunächst in ein chemisches Signal umgewandelt.

An der Zellmembran der Empfängerzelle, also der postsynaptischen Membran, befinden sich Andockstellen (Rezeptormoleküle) für die Botenstoffe. Bindet ein Transmitter an ein Rezeptormolekül, wird in der Empfängerzelle wieder ein elektrisches Signal ausgelöst, das sich entlang der Zelle fortpflanzen kann. So werden Nervenimpulse von Zelle zu Zelle fortgeleitet. Es werden Austauschgeschwindigkeiten von 1 bis zu 100 m/s erreicht.[2] Dabei ist die Nervenleitgeschwindigkeit u. a. davon abhängig, ob der Nerv von einer fettreichen Biomembran (Myelinscheide) umgeben ist.

Es werden multipolare (für sensorische und motorische Aufgaben), unipolare (nur sensorische Wahrnehmung), bipolare (Aufnahme und Weiterleiten der Signale von Stäbchen und Zäpfchen in der Hornhaut des Auges) und pseudounipolare (mit nur einem Fortsatz aus dem Soma) Nervenzellen unterschieden. Ferner werden afferente (leiten Signale von sensorischen Zellen zum zentralen Nervensystem) und efferente (leiten Signale vom zentralen Nervensystem an Muskeln und Drüsen) Neurone differenziert. Außerdem lassen sich zentrale (ZNS) von peripheren Anteilen (PNS) des Nervensystems abgrenzen. Das Hirnnervensystem ist dabei eine Sonderform des PNS. Das PNS wiederrum ist in somatische (willkürliche) und autonome (vegetative) Bereiche zu untergliedern.

Abbildung 1

Schematische Darstellung der Hirnnervenkerne aller 12 Hirnnerven im sogenannten Hirnstamm. Üblicherweise werden die Hirnnerven mit römischen Zahlen belegt, so dass beispielsweise der Fazialisnerv, als VII. Hirnnerv (hier 7, in grün) und der N. massetericus als V. Hirnnerv (hier 5) bezeichnet werden. In dieser Schemazeichnung wird die topographische Nähe beider Hirnnervenkerne (VII und V) deutlich, welche für eine gewisse Fähigkeit der Kommunikation beider Hirnnervensysteme untereinander verantwortlich gemacht wird. Diese kommt potentiell dann vermehrt zu Tragen, wenn Nervenzellen (Neurone) des V. Hirnnerven nach einem Nerventransfer (mikrochirurgische Nervennumlagerung im Gesicht) ursprüngliche Aufgaben von Nervenzellen des VII. Hirnnerven übernehmen sollen, d.h. zum Beispiel die Muskulatur zum Lächeln ansteuern. Gelingt dieser Prozess, welcher durch intensive Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Eigentraining beschleunigt wird, und wird er eventuell sogar unbewusst gesteuert, so spricht man von „zerebraler Plastizität“. Das Gehirn hat also gelernt, dass die umgelagerten Nervenfasern eine neue Aufgabe besitzen und steuert diese nach erfolgter „Umprogrammierung“ entsprechend ihrer neuen Funktion an.

Quelle: Patrick J. Lynch, Dr. C. Carl Jaffe, Sagittal cuts of the encephalic trunk. Number 7: the facial nerve nucleus, Number 6: abducens nucleus, 12/23/2006, de.wikipedia.org/wiki/Datei:Brain_stem_sagittal_section.svg, accessed on 08/28/2020, CC BY-SA 2.5. creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5.

Verlauf im Hirnstamm,

Schädelbasis, Felsenbein

Makroskopisch betrachtet ist der Nervus Facialis der siebte von insgesamt zwölf Hirnnerven. Er entspringt der Brücke (Pons) des Hirnstamms und setzt sich dort aus drei Kernen zusammen. Diese Hirnnervenkerne verarbeiten unterschiedliche Informationen. Der Nucleus nervi facialis übernimmt die motorische Innervation (speziell visceroefferent) der mimischen Muskulatur, einesTeils der Mundbodenmuskulatur und des Musculus stapedius (ein Muskel im Mittelohr, der die Schallüberleitung reguliert). Über den Ncl. tractus solitarii wird die Geschmackswahrnehmung (speziell visceroafferent) der vorderen zwei Drittel der Zunge übermittelt[3]. Die Tränendrüse (Glandula lacrimalis) sowie die Speicheldrüsen (Gl. submandibularis, Gl. sublingualis, etc.) werden parasympathisch (allgemein visceroefferent) über den Ncl. salivatorius superior gesteuert.

Abbildung 2

Der Fazialisnerv zieht nach seinem Austritt aus dem Hirnstamm zum Porus acusticus internus (gelbe Pfeile) und verläuft dann im Felsenbein (gelbe Klammer) im knöchernen Fazialisnervenkanal (Canalis nervi facialis), bevor er an der Schädelbasis durch eine knöcherne Öffnung (Foramen stylomastoideum) wieder heraustritt und sich in der gleichseitigen Gesichtshälfte verzweigt.

Quelle: Modified by author: Welleschik, Own work, Os temporale, pars petrosa, facies posterior, 06/10/2009, commons.wikimedia.org/wiki/File:Ear_internal_anatomy_numbered.svg, accessed on 08/28/2020, CC BY-SA 3.0. creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0.

Abbildung 3
Schematische Darstellung des intrakraniellen Verlaufs. 1 Nervus vestibularis, 2 Nervus cochlearis, 3 Nervus facialis (Nervus intermediofacialis), 4 Ganglion geniculi, 5 Chorda tympani, 6 Schnecke im Innenohr (Cochlea), 7 Bogengänge (Ductus semicirculares), 8 Malleus, 9 Trommelfell (Membrana tympani), 10 Tuba auditiva

Quelle: Modified by author: Patrick J. Lynch, numbers by Uwe Gille, Cranial nerves VII and VIII and selected structures of the inner and middle ear. 04/12/2011, commons.wikimedia.org/wiki/File:Ear_internal_anatomy_numbered.svg, accessed on 08/28/2020, CC BY-SA 2.5. creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5.

Vom Hirnstamm zieht der N. facialis zur Öffnung des inneren Gehörgangs(Porus acusticus internus) und verläuft dann im Felsenbein im Canalis nervi facialis, wobei er den großen Felsenbeinnerv (N. petrosus major) zurTränendrüse, den Steigbügelnerv (N. stapedius) und die Paukensaite (Chorda tympani) für die Geschmackswahrnehmung und zu den Speicheldrüsenabgibt [4]. Der Verlauf ist in der nebenstehenden Grafik dargestellt, um die Nähe der zahlreichen Strukturen (gemeinsamer Durchtritt des N. facialis und der Nerven für Hör- und Gleichgewichtswahrnehmung durch den Porus acusticus internus) im Felsenbein zu veranschaulichen.

In diesem Modell lässt sich der Verlauf des N. facialis innerhalb des Felsenbeins (Pars petrosa ossis temporalis) in Beziehung zu den Gehörknöchelchen (Ziffern 2 – 4) sowie zum Hör- und Gleichgewichtsorgan im engeren Sinne (grüne Struktur) nachvollzie-hen. Ferner sind die beiden Anteile des VIII. Hörnervs (N. vestibulochochlearis; Ziffern 8 – 9) abgebildet.

Quelle: Campbell A, Lockwood P, Stewart D, Spielmann P. Anatomy of the Inner Ear. 2015. sketchfab.com/3d-models/anatomy-of-the-inner-ear-f80bda64666c4b8aaac8f63b7b82a0a0. Accessed on 11/15/2020. CC BY-SA 4.0. creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0.

Verlauf außerhalb des knöchernen Schädels

Durch das Foramen stylomastoideum tritt er aus dem Schädelknochen aus und verzweigt sich imBereich der Ohrspeicheldrüse (Glandula Parotis), die im unteren Bild als schaumige Struktur unterhalb des Ohres zu erkennen ist. Die übergeordneten Äste werden als Rami (Rr.) (von lateinisch Ramus = Ast) bezeichnet: Rr. temporales (Äste zur Schläfe), Rr. zygomatici (Jochbein Äste), Rr. buccales (Wangenäste), R.marginalis mandibulae (Unterkieferäste) und Rr. colli (Äste zum Hals). Diese Hauptäste unterteilen sich weiterhin in feine Unteräste. Am rostralen (zum Mund hinweisenden) Rand derParotis sind bereits ca. 14 Verästelungen beschrieben [5].

Abbildung 4
Seitenansicht der anatomischen Strukturen im Gesicht (Nerven gelb, Arterien rot, Venen blau, Ohrspeicheldrüse "schaumige Struktur")

Quelle: Anatomy of the facial nerve. In: Agur A, Dalley A. Grant’s atlas of anatomy. Wolters Kluwer Health/Lippincott Williams & Wilkins. Philadelphia. 2012 13th ed. P633 Fig. 7.13.

Dieses 3D-Lernmodell von unseren Freunden von ANATOMYNEXT (www.anatomynext.com) stellt zunächst den N. petrosus major und die Chorda tympani dar, die beide im Felsenbein (Pars petrosa ossis temporalis) vom N. facialis abzweigen. Dabei dient der N. petrosus major insbesondere der nervalen Versorgung der Tränendrüse (Glandula lacrimalis). Demgegenüber versorgt die Chorda tympani einerseits die Unterkiefer- und Unterzungendrüsen (Glandulae submandibularis et sublingualis) und andererseits ermöglicht sie Geschmacksempfindungen in den vorderen zwei Dritteln der Zunge. Ferner werden die Äste des Plexus parotideus aufgezeigt. Der Plexus parotideus ist zwischen dem oberflächlichen und tiefen Anteil der Ohrspeicheldrüse (Glandula lacrimalis) aufzusuchen und innerviert über seine Äste v. a. die mimische Muskulatur. Wenn Sie mit der linken Maustaste das Model anklicken und halten, lässt es sich in alle Richtungen bewegen. Das 3D-Lernmodell wurde von unseren Freunden von ANATOMYNEXT (www.anatomynext.com) erstellt, die unsere Seite mit ihren hervorragenden 2D und 3D Lehrmodellen bereichern.

Die Verteilung der Astsysteme ist höchst variabel (Abb. 5) [6]. Des Weiteren gibt es auch unter den Astsystemen Querverbindungen, die besonders bei Synkinesien (Erklärung unter Gesichtslähmung -> Formen -> Synkinesien) von Interesse sind [7, 8].

Abbildung 5
Variable Anlage des peripheren Verlaufs

Quelle: Alexandra W. Baker, DNA Illustrations, Inc., Lateral view of facial muscles showing six common branching patterns of facial nerve, 222 Flint St.Asheville, NC 28801, n.d., www.dnaillustrations.com/project/facial-nerve-variations, accessed on 08/28/2020.

Abbildung 6
Aufzweigung des N. facialis in seine Unteräste

Quelle: Modified by author: Alexandra W. Baker, DNA Illustrations, Inc., Lateral view of facial muscles showing six common branching patterns of facial nerve, 222 Flint St.Asheville, NC 28801, n.d., www.dnaillustrations.com/project/facial-nerve-variations, accessed on 08/28/2020.

Die 21 verschiedenen, paarig angelegten Gesichtsmuskeln erlauben willkürliche und unwillkürliche Bewegungen. Dazu gehören auch unter anderem das Platysma sowie die Muskeln des äußeren Ohres. Die mimische Muskulatur wird in vier Schichten eingeteilt. Diedrei oberflächlicheren Schichten werden werden vom N. facialis aus der Tiefe innerviert. Demgegenüber wird die tiefste Muskelschicht (M. mentalis,M. levator anguli oris und M. buccinator) von der Oberfläche ebenfalls durch den N. facialisversorgt.

Welcher Muskel und auch welche Muskelgruppenaus welchem Astsystem innerviert werden, kannvariieren[9]. Die Muskeln, die beispielsweise Mundbewegungen ermöglichen, können unabhängig davon ebenfallsin ihrer Anordnung variieren [10]. Das bedeutet, dass bei verschiedenen Menschen die Zugrichtung, die Amplitude und damit die Funktion des gleichen Muskels bzw. der gleichen Muskelgruppendurchaus unterschiedlich sein kann.

Quellen:
[1] Schmid SM, Hollmann M. Bridging the synaptic cleft: lessons from orphan glutamate receptors. Sci Signal. 2010 Aug 24;3(136):pe28. doi: 10.1126/scisignal.3136pe28. PMID: 20736482.
[2] Corthay J, Dunant Y, Loctin F. Acetylcholine changes underlying transmission of a single nerve impulse in the presence of 4-aminopyridine in Torpedo. J Physiol. 1982 Apr;325:461-79. doi: 10.1113/jphysiol.1982.sp014162. PMID: 6286942; PMCID: PMC1251406.
[3] R. Shane Tubbs, Mohammadali M. Shoja and Marios Loukas. Bergman’s Comprehensive Encyclopedia of Human Anatomic Variation [cited 2018 May 23].
[4] R. Shane Tubbs, Mohammadali M. Shoja and Marios Loukas. Bergman’s Comprehensive Encyclopedia of Human Anatomic Variation [cited 2018 May 23].
[5] Tzafetta K, Terzis JK. Essays on the facial nerve: Part I. Microanatomy. Plast Reconstr Surg 2010; 125(3):879–89.
[6] DAVIS RA, ANSON BJ, BUDINGER JM, KURTH LR. Surgical anatomy of the facial nerve and parotid gland based upon a study of 350 cervicofacial halves. Surg Gynecol Obstet 1956; 102(4):385–412.
[7] Tohma A, Mine K, Tamatsu Y, Shimada K. Communication between the buccal nerve (V) and facial nerve (VII) in the human face. Ann Anat 2004; 186(2):173–8.
[8] Katz AD, Catalano P. The clinical significance of the various anastomotic branches of the facial nerve. Report of 100 patients. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 1987; 113(9):959–62.
[9] Kehrer A, Engelmann S, Bauer R, Taeger C, Grechenig S, Kehrer M et al. The nerve supply of zygomaticus major: Variability and distinguishing zygomatic from buccal facial nerve branches. Clin Anat 2018; 31(4):560–5.
[10] Farahvash MR, Abianeh SH, Farahvash B, Farahvash Y, Yagoobi A, Nazparvar B. Anatomic variations of midfacial muscles and nasolabial crease: a survey on 52 hemifacial dissections in fresh Persian cadavers. Aesthet Surg J 2010 [cited 2018 May 23]; 30(1):17–21.

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